Buchbeschreibung "Harte Zeiten"
„Harte Zeiten"
„Harte Zeiten - Schicksale bäuerlicher Menschen um die Jahrhundertwende“
Diese zu einem Roman verfasste Begebenheit einer Bergbauernfamilie im Freisinggraben, nähe der Gleinalpe hat mein Schwiegervater Karl Wölkart geschrieben. Nach seinem Tod ist mir diese Geschichte
von der „Mudl Dona“in die Hände gefallen und schon beim erstmaligen Durchlesen fand ich sie für die Schublade viel zu schade.
Der Autor Karl Wölkart beschreibt in diesem Buch den Lebenslauf einer Bergbauerntochter, die mit nicht einmal zwei Jahren ihre Mutter verloren hat und später an ihrem harten Schicksal gescheitert ist.
Er schildert das Leben der Bauern, Knechte und Mägde und deren Schicksale um die Jahrhundertwende am Fuße der Gleinalpe.
Herr Wölkart erzählt, wie der kleine Holterbub im Winter bei dichtem Schneetreiben oder im Sommer barfuß auf den Berg hinauf um die Hebamme lief.
Wie die damals ärmlichen Bauern auf ihren oft steilen Hängen von Herrschaften hinterhältig um Grund und Boden gebracht wurden.
Dass Knechten und Mägden untereinander oder mit Bauernkindern jegliche Liebe verwehrt war. Und dass die Liebe, die trotzdem ihre Kreise zog, nur solange geheim blieb, solange nur zwei daran beteiligt waren.
Er erzählt auch von jungen Burschen, die in den Krieg ziehen mussten oder wie sie der versprochenen Freiheit von Amerika nicht widerstehen konnten.
Diese äußerst lesenswerte Buch ist um 18 Euro erhältlich.
Ein kurzer Auszug
So war es wohl nahe gegen Mitternacht geworden und die stockfinstere Februarnacht war durch den hinter den Wolken aufgegangenen späten Mond ein ganz wenig aufgelichtet. Man sah durch das kleine Fenster die weißen Flächen der schneebedeckten Landschaft recht deutlich. „Wirst dich auf den Heimweg machen müssen, dass du noch ein paar Stunden schlafen kannst, bevor du wieder zu deiner Arbeit musst. Mich werden sie schon noch ein paar Tage im Bett lassen, bis ich wieder ein bisserl stärker bin, sind ja gute Leut, die Bäuerin und der Bauer beim Hiabler. Bevor du aber zu den Soldaten fort musst, komm aber bestimmt noch einmal herauf, nicht nur wegen meiner. Die Bäuerin ist ja schließlich deine „Godl“[1] und auch die Buben und die Tinnerl haben immer eine so große Freud, wenn du kommst.“
Das baldige Wiederkommen hatte der Anderl seiner Mutter noch versprochen, dann strich sie mit beiden Händen den Kopf des Anderl, genau so, wie sie es immer machte. Früher, wenn sie das kleine Bübl in die mit Stroh gefüllte “Heidl” legte und auch damals, als sie sich verabschiedete, als sie ihr Bübl unten beim Mudl auf dem ersten Dienstplatz verlassen musste. Dann drehte sie sich in ihrem „Stubenbett“ zur Seite und meinte nochmals wie froh sie sei, dass er gekommen und so lange bei ihr geblieben sei. Nun werde sie sicher ein wenig schlafen können. Der Anderl drückte noch sanft die wie zum Gebet gefalteten mageren Hände seiner Mutter. Einige Tropfen kalten Schweiß wischte er noch behutsam von ihrer Stirn, ehe er sich still aus der Stube und dem Haus schlich, um ja niemanden zu stören oder gar aufzuwecken.
Die Nacht draußen war bei weitem nimmer so finster wie am Abend und, wie es dem Anderl schien, auch bei weitem nimmer so kalt. Irgendwo meldete sich schon ein vorwitziger Uhu und hoch in der Luft hörte er ein paarmal ein merkwürdig singendes Geräusch, genau wie sich in manchen Jahren der Jauk ankündete. Doch das konnte kaum möglich sein, gab es doch bis vor ein paar Stunden noch einen recht eisigen Nordsturm, wie es sich eben für den Februar gehörte.
Vielleicht war der Anderl noch auf seinem nächtlichen Weg hinunter zum Mudl. Vielleicht schlief er schon tief unter der Decke vom Schaffell in seinem tiefen Holzbett auf dem Knechtboden. Da war ein anderer oben beim Hiabler in das alte Haus gegangen. „Gevatter Tod“. Nicht so, wie einmal vor Jahren unten zur Mudlin, ungesehen durch eine Stube voll Menschen. Diesmal ging der hagere Geselle durch ein nächtlich stilles Haus. Alle schliefen in diesen ersten Stunden des neuen Tages. Die Bäuerin, der Bauer, die Mägde und Knechte. Die Buben des Bauern und die Tinnerl. Auch jene hat wohl geschlafen, der dieser Besuch galt. Anderls Mutter.
Als am frühen Vormittag der Anderl wieder zum Hiabler kam, lag seine Mutter schon aufgebahrt in der „Labm“ und die alte Hiablerin erzählte ihm, wie sie die Tote am frühen Morgen angefunden hatte. Demnach genau so, wie sie sich noch im Beisein des Anderl zum Schlafen zurecht gelegt hatte. Anderls Mutter war scheinbar ohne jeden Todeskampf hinüber gegangen, in jene unbekannte Welt. Ein Ausdruck tiefer Zufriedenheit verklärte das noch nicht alte, aber recht magere Gesicht der Toten. Einfach wie ihr Leben war, war auch das Sterben dieser Magd gewesen. Einfach war auch ihr letzter Kirchgang, hinunter nach Graden, in die geweihte Erde des kleinen Friedhofs. Und dennoch, Anderls Mutter wurde den weiten Weg vom Hiabler nach Graden getragen, das war eine hohe Ehre. Denn die meisten Dienstboten und Einleger wurden auf einem einfachen „Goan“ von einem Ochsen- oder Pferdegespann zum Friedhof gebracht.
Getragen wurden in der Regel nur Bäuerinnen und Bauern, oder wenn jemand so beliebt oder angesehen war, dass genügend kräftige Burschen oder Männer zur Verfügung standen. Bei Anderls Mutter war das der Fall. Einige, die mit dem Anderl zur Stellung gingen, und ein paar, mit denen er erst vor wenigen Tagen die alte Leitenbäuerin nach Kainach getragen hatte, haben sich dem Anderl selbst angeboten, seine Mutter zur Kirche zu tragen. „So ein Glück“, sagte die Hiablerin zum Anderl am Morgen des Begräbnistages, „dass es so viele gute Leut gibt. Denn mit die Roß kämen wir heut gar nicht hinunter nach Graden, aber diese starken „Leader“[2] dermachen es leicht“. Die “Leader” stärken sich derweilen gerade bei einem einfachen, ausgiebigen Frühstück. Ein ordentliches „Fruasti“ war vor einem solchen beschwerlichen Weg nicht nur üblich, sondern auch nötig. Bei der Vorbereitung zu einem solchen Gang gab es kaum einen Unterschied, ob es einem Bauern, oder nur einem Knecht oder einer Dirn galt. Alle, die zur „Leich“[3] kamen, wurden beim Haus, von wo die “Leich” wegging, mit einem reichlichen “Fruasti” bedacht.
Der Weg nach Graden war nicht nur ziemlich weit, sondern auch recht schlecht. Im hohen Sommer waren die Tiefwege noch tiefer ausgeschwemmt. Im tiefen Winter oft eisig oder „verwaht“. Und heute, als es galt, Anderls Mutter hinunter zu tragen, war gar alles beisammen, was ein schlechter tiefer Winter oder ein hoher Sommer zu bieten hatte. Ein vorzeitiger Jauk hatte alle festgetretenen „Gwahnen“ aufgeweicht und die Tiefwege versorgte dieser Jauk mit kniehohem Schneewasser. Das Tragen einer Truchn war deshalb keine Kleinigkeit, auch wenn ihr Inhalt nur aus einem abgeschundenen, schmächtigen Weiblein bestand.